Die Wahrheit ist eine Lüge, die man glaubt, bis man es besser weiß.

Der schwarze Uhu - Hüter der Wahrheit
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Querverweise


Titelseite
Alles gelogen, alles geklaut?

In den 1990er Jahren trällerte eine ostdeutsche Musikgruppe namens „Die Prinzen" von allen Bühnen und in allen Kanälen „Es ist alles nur geklaut...". Ein Riesenerfolg seinerzeit. Es ging darin um einen jungen Mann (vermutlich), der versucht etwas darzustellen, was er gar nicht ist; dessen Erfolge auf Sand gebaut sind; der - wie es der Volksmund sagen würde - einfach nur ein Angeber ist. Der schöne Schein trog - aber gewaltig. Alles war gelogen, geliehen, ausgedacht. Wer zu leichtgläubig war und auf so jemanden hereinfiel, für den gab es später wohl ein böses Erwachen.

Aber nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich kann der Schein trügen. Ein bekanntes Sprichwort sagt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Doch: Kontrolle kann sehr aufwändig sein, ja, manchmal schier unmöglich. Wir sind gar nicht in der Lage alles zu kontrollieren, was andere verkünden. Meine Mutter zum Beispiel erzählte mir, sie habe früher immer das Wasser vom Spargelkochen benutzt, um davon noch Suppen zu machen. Manchmal habe sie es sogar getrunken, denn man sagte damals, das sei gut für den Körper; alle gesunden Substanzen aus dem Spargel befänden sich darin. Kürzlich sah sie jedoch eine Fernsehsendung zum Thema Spargel. Dort stellte man verschiedene Rezepte vor und sagte schließlich zur Überraschung meiner Mutter, bloß nicht das Wasser vom Kochen des Spargels weiter benutzen. Darin befänden sich lauter Giftstoffe. Oje...

Heute so, morgen so... Beinahe jeden Tag hören oder lesen wir von einer neuen wissenschaftlichen Studie, die diese oder jene neue Erkenntnis gebracht hat. Doch seien Sie vorsichtig! Sie gilt immer nur bis zu ihrer Widerlegung, bis zur nächsten wissenschaftlichen  Studie sozusagen, die vielleicht genau das Gegenteil behauptet. WissenschaftlerDer Seuchenforscher John Ioannidis von der Universität Ioannina (Griechenland) stellte nun die Vermutung auf, dass mehr als die Hälfte aller wissenschaftlichen Studien falsch sei. Eine ebenso gewagte wie erstaunliche These, nicht wahr? Mit seinen Untersuchungen hatte er zwar keine fehlerhaften Studien nachgewiesen, aber er hat die Bedingungen zusammengetragen, die eine Studie fehlerhaft beeinflussen und daraus eine statistische Wahrscheinlichkeit errechnet. Danach seien wie gesagt weniger als 50 Prozent richtig. (Aber vielleicht hat er ja selbst einen Fehler gemacht?! Wer weiß?) 

Wie kann man sich das vorstellen? Schauen wir mal allein auf den Aussagewert einer Studie. Ergebnisse werden dabei nicht selten zu stark vereinfacht und zu sehr verallgemeinert. In einer Untersuchung, wie sich Alkohol auf das Herz auswirkt, finden die Forscher beispielsweise heraus, dass Personen, die täglich alkoholische Getränke zu sich nahmen, seltener an Herzkrankheiten litten, als Personen, die nur wöchentlich einmal Alkohol tranken. Wie lautet das Ergebnis der Studie - insbesondere in den Medien: „Alkohol ist gut fürs Herz". Aber? Heißt das nun, es tue uns gut, täglich ein paar Flaschen Bier, eine Flasche Wein oder Schnaps zu trinken? Die Studie bzw. die Veröffentlichung unterschlägt die gesundheitsgefährdenden Auswirkungen von zu viel Alkohol. Sie hat sich nur auf das Herz konzentriert, aber alles andere vernachlässigt. Für sich betrachtet, mag das Ergebnis stimmen, es zu verallgemeinern, wäre jedoch ein fataler Irrtum. Wer zu viel Alkohol zu sich nimmt, stirbt vielleicht nicht an einer Herzkrankheit, aber am Leberversagen.

Es gibt andere Bedingungen im Vorfeld solcher Meldungen, die nicht nur die Auslegung einer Studie, sondern bereits ihre Durchführung betreffen. Zeit- und Geldmangel, die nicht gründlich genug arbeiten lassen. Da wurde dann die Gruppe der Versuchsteilnehmer zu klein oder zu einseitig ausgewählt. Erfolgsdruck spielt ebenfalls eine Rolle und die Befangenheit des Wissenschaftlers, der seine eigene These natürlich lieber bestätigen als widerlegen möchte. Voreingenommenheit verstellt den Blick. Das kennen wir auch aus dem Alltag. Man sieht nur, was man sehen möchte und vernachlässigt oder lässt unbeachtet, was dem widerspricht. Die meisten Forscher seien sich dieses Dilemmas wissenschaftlicher Studien aber bewusst, heißt es. Weitere Tests und Überprüfungen sind deshalb unerlässlich. Man kann es aber auch so „sportlich" nehmen, wie Solomon Snyder von der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA. Der sagte nämlich: „Wenn ich Fachliteratur lese, lese ich nicht um Beweise vorzufinden wie in einem Lehrbuch. Ich lese um Ideen zu finden. Also kann ein Aspekt eines teilweise falschen Artikels noch immer eine Idee beinhalten, über die es sich lohnt nachzudenken." In diesem Sinne: Lehnen Sie neue Ergebnisse der Forschung künftig nicht ab, aber seien Sie ruhig etwas skeptischer als bisher. Nichts ist wahr, nur weil es jemand sagt oder weil es irgendwo geschrieben steht!

Jens-Robert Schulz

(nach einer pte-Meldung vom 30.08.2005)
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